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Philosophie

Gekämmte Spagetti im Kopf und moderne Opferstätten

In den letzten Tagen habe ich einen Vortrag über die Bedeutung des Betens in der modernen Welt gehört. Als Kind habe ich mich auch oft gefragt, warum man den Vorgang in den Kirchen als Gottesdienst bezeichnet, denn was für einen Dienst tut man diesem Gott denn da? Was hat er davon, dass Menschen Zeit mit ihm verbringen? Zumindest da der Gott der abrahamistischen Religionen ja ohnehin laut Ansicht der biblisch Gläubigen allmächtig ist.

Am Ende denke ich, dass das klassische Gebet wie es hierzulande Jahrhunderte lang ausgeübt wurde, nicht viel anders ist, als eine Meditation oder eine Affirmation. Man opfert Zeit und Energie die man in bestimmte Gedanken steckt, um damit das Hirn zu ordnen, sein Weltbild zu schützen, zu festigen und sicher auch, um Gedanken zu vertreiben die man selbst oder die vorherrschende Gesellschaft für unpassend hält. Fast schon eine Art Reinigungsritual.

Was für Gedanken man da heranzüchtet und kultiviert sollte man sicher gut durchleuchten und dahingehend sind wir sicherlich heute weiter als noch vor wenigen Jahren. Allerdings glaube ich, dass zwischen der Zeit wo Religion wirklich von der breiten Masse gelebt wurde und der Jetzt-Zeit wo wieder mehr und mehr Menschen ihren Schädel von innen entdecken möchten eine Zeit lag, in der Religion nur etwas war, das man eben so machte und was dann immer halbherziger wurde, sodass die meditativen Effekte von Dingen wie Gebet bereits nicht mehr bei der Mehrheit der Menschen eintrat und die Menschen noch nicht auf der Suche nach anderen Wegen waren ihre Gedanken zu ordnen.

Als Ordnungswerk kann ich theoretisch sogar die Rolle einer Kirche akzeptieren. Allerdings möchte ich diese als solches Ordnungswerk eines aristokratischen Urgedankens erklärt wissen und nicht als Ding, das eben so ist, weil es so ist. Wobei ich Kirche an dieser Stelle frei mit jedem anderen zielvorgebenden Kompass ersetzen könnte. Das Ganze erinnert mich an eine ursprünglich mal gut gemeinte Schatzkarte, die erklärt, wie man von einem ungeordneten Mensch hier, zu einem “guten” Mensch dort wird, indem man sich an den Vorgaben der Karte orientiert. Leider sind solche Karten in der Geschichte der Menschheit immer zum Selbstzweck verkommen und viel zu selten hinterfragt worden. Außerdem haben es findige Individuen der Geschichte geschafft, die Karten immer mal zu ihren Gunsten zu erweitern, sodass am Ende aus einfachen Lebensweisheiten ein komplexes Interpretationsmonster wie die Bibel wird, oder aus einer Anleitung zum Bedienen eines Telefons die AGBs von Apple und eine eigene Rechtsabteilung in der solche Dinge erklärt werden, wie dass man seinen Hund zum Trocknen nicht in die Mikrowelle packen sollte - und am Ende weiß dann niemand mehr worum es überhaupt ging.

Worauf ich jedoch eigentlich hinaus wollte ist, dass ich glaube wir stehen am Ende einer entgeisterten Zeit, in der die Menschen zunehmend merken, was die Kultivierung des Geistes den alten Generationen gebracht hat und dieselben Effekte auf neuen, vielleicht sogar besseren Wegen wieder neu zu entdecken suchen. Aus irgendeinem Grund hatte ich, als mir der Gedanke dazu kam diesen Text zu verfassen, das Bild eines Menschen im Kopf, der sein Gehirn mit einem Kamm morgens und abends in die Form dessen streicht, was er erreichen will. Und aus irgendeinem Grund sah das Gehirn aus wie Spagetti mit roter Soße, die er mit dem Kamm striegelte :)


Nun will ich aber noch ein paar Worte zum Thema opfern hinterlassen, denn ich glaube genau genommen kann man fast jede Aktion als Opfer an irgendetwas betrachten, wenn man es denn so sehen will. Eine Tüte Chips ist so ein Opfer an den Hersteller und den Gott der Couchpotato, so wie 10 Minuten Yoga ein Opfer an den eigenen Körper und Geist sein sollten. Zeitlich und kulturell sind wir hier inzwischen recht weit weg davon Tiere oder Menschen zu opfern, aber was wir ständig opfern ist letztlich unsere Lebenszeit, und unser Geld, das wir nur allzu oft gegen Lebenszeit eingetauscht haben, sowie schlussendlich noch Schmerz/unangenehme Gefühle. Auch das Durchhalten von Sport oder einer Dehnung kann eine Art Opfer sein. Zwischenmenschlich wird das Thema noch einmal viel bunter und kreativer. So können wir uns gegenseitig bei weitem nicht nur Zeit, sondern alle Arten von Emotionen opfern und eigentlich auch alles was die 5 Liebessprachen hergeben.

Und doch klänge es hierzulande abwertend, oder je nachdem wer es sagt auf unterschiedliche Arten falsch, wenn jemand etwas wie “Ich opfere meiner Frau Lob und ein selbst gemaltes Bild” oder “Ich opfere meinem Mann Zeit zu zweit und meinen Rat” sagen würde. Das liegt daran, dass wir mit opfern immer etwas verbinden, das wir selbst verlieren, wenn wir es geben, sodass opfern mit Verlust und Schmerz ohne Gewinn gleichgesetzt wird. Doch ich wage mich, das als generelles Muster zu hinterfragen.

Denn es ist doch so: Wenn wir nur tun würden, was uns im Moment glücklich macht, führt das im Allgemeinen zu einem weit weniger glücklichen Leben, als Ziele und den Willen diese über Opfer zu erreichen…